
Das Herz von Frédéric Chopin
Beitragsbild © Herz / Stefan Gara [CC BY-NC-ND 2.0]
Inhalt
Frédéric Chopin im Sterbebett
Das Musikgenie war gerade mal 39 Jahre alt, als er im Sterbebett lag. Der Tod hat ihn nicht abrupt geholt. Es dauerte relativ lange, bis er den letzten Hauch von sich gab. Die ganze Zeit über wusste Frédéric, was ihn erwartet.
In dieser Zeit hat er seine weltlichen Angelegenheit erledigt und sogar den musikalischen Rahmen seiner Beerdigung festgelegt. Entgegen aller Legenden und Gerüchte fiel auch hier schon die Entscheidung, dass nach seinem Tod eine schnelle Obduktion erfolgen und das Herz herausgenommen werden solle.
Warum diese voreile Entscheidung? Einige dachten, dass er Angst hatte bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Doch tatsächlich ging es ihm darum, dass er auf diese Weise beweisen könne, dass er aufgrund von Herzproblemen gestorben sei.
Frédéric Chopin verstarb am 17. Oktober 1849.
Das Herz und die Todesursache
Die Obduktion vollzog der pariser Chirurg Professor Jean Baptiste Cruveilhier, nach welchem die Pégot-Cruveilhier–Baumgarten-Krankheit benannt wurde.
Es stellte sich heraus, dass Frédéric Chopins Vermutungen gar nicht unbegründet waren. Das Herz war so groß, dass sogar der Professor ins Staunen kam. Heute weiß man, dass er die Krankheit nicht kennen konnte, da sie damals noch nicht bekannt war.
Es dauerte eine Weile, bis man mehr erfuhr. 2014 erhielten Wissenschaftler der Medizin die Erlaubnis den Behälter mit dem Herzen aus der Säulenmauer in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau für Untersuchungen herauszunehmen. Die Ergebnisse wurden 2017 im The American Journal of Medicine veröffentlicht. Der Zustand des Herzens war sehr gut. Der Behälter wies lediglich eine undichte Stelle auf, welche mit Wachs geschlossen werden konnte. Das Herz wurde für die Untersuchung nicht aus dem Behälter herausgenommen, sondern mit einem speziellen Gerät fotografiert. Anhand der anatomischen Veränderungen am Herzen konnte man somit beweisen, dass Frédéric an einer Herzbeutelentzündung litt und daran verstarb. Eine solche Krankheit steht eng mit der Tuberkulose zusammen.
Der Herzbeutel wird auch Perikard (= das Herz umgebend) genannt und ist eine sehr dünne Umhüllung des Herzens. Er besteht aus einem inneren, dem Herz direkt aufliegenden, und einem äußeren Blatt, welches als Kapsel das Herz im Brustkorb umgibt, fixiert und schützt. Ein schmaler Flüssigkeitssaum zwischen den beiden Blättern ermöglich eine reibungsarme Herzfunktion (Quelle: www.cardio-guide.com). Frédérics Sterbeursache wird in der medizinischen Fachsprache als Perikarditis bezeichnet.
Die nächsten Untersuchungen werden in ca. 50 Jahren erfolgen. Man erhofft sich in dieser Zeit einen technologischen Fortschritt in der Medizin, der er erlauben würde noch genauere Untersuchungen vornehmen zu können.
Der Schmuggel nach Polen
Schon am 9. November 1849 gab die Zeitung Kurier Warszawski bekannt, dass sich das Herz des bekanntesten Polen bald in Warschau befinden wird.
Doch das war nicht so einfach. Seine ältere Schwester Ludwika Jędrzejewiczowa konnte nicht einfach angeben, was sie als Gepäck mit sich bringt. Man hätte es spätestens an der Grenze in die russisch besetzten polnischen Gebiete beschlagnahmt. Die russischen Beamten wollten verhindern, dass es um den bekanntesten Polen in Europa medial zu laut werden würde.
Also musste Ludwika das Herz nach Polen schmuggeln, und zwar unter ihrer Kleidung versteckt. Dort schaute man damals einer Dame schlicht nicht hin. Etwas anders kennen wir das von den Security-Checks auf den Flughäfen des 21. Jahrhunderts. Gut versteckt gelang es schließlich nach Warschau.
Das Herz ist übrigens getränkt in Alkohol. Es ist nicht bekannt, ob es sich dabei um Cognac oder Spiritus handelt. In den meisten Ausarbeitungen und Beiträgen wird Cognac angegeben.
In der Heilig-Kreuz-Kirche
Während der Behälter zunächst einige Wochen in der Wohnung von Ludwika blieb, suchte man einen würdigeren Platz.
Man entschied sich endlich für die damals größte Kirche Warschaus – die Heilig-Kreuz-Kirche an der Krakowskie-Przedmieście-Straße. Diese Kirche hatte für die Chopin-Familie von Anfang an eine große Bedeutung. Dort wurden auch Izabella und Emilia, die zwei jüngeren Schwestern Frédérics getauft.
Die Geistlichen verstauten die Urne jedoch zunächst … in den Keller. Der Grund? Man wisse über das stürmische des Pianisten in Paris Bescheid und daher dürfe man es nicht im oberen, also in gewißer Weise heiligen Teil des Gotteshauses ausstellen.
So dauerte es eine Weile, bis etwas Gras drüber gewachsen ist. Erst die nächste Geistlichen-Generation war bereit das Herz aus den Katakombem zu holen und an einer sichtbaren Stelle in der Kirche auszustellen. Man fand in der Zwischenzeit auch einen triftigen Grund: Die Schriftstellerin und Freundin Chopins in Paris – Klementyna Hoffmannowa, geb. Tańska – war auch nicht sonderlich tugendhaft und trotzdem wurde ihr Herz wurde in der Kathedrale auf dem Wawelberg in Krakau beigelegt.
Das Epitaph
Kaum jemand weiß, dass der Behälter mit dem Herzen von Chopin anfangs in den Kellern der Heilig-Kreuz-Kirche verstaubte. Die Verwalter der Kirche waren über das frivole Leben des Musikgenies informiert und wollten Gottes Zorn nicht heraufbeschwören. Schließlich ist das Hauptschiff der Kirche nur für die würdigsten unter den Toten bestimmt. Es musste also etwas Regen fallen, bis die nächste Generation der Klosterbrüder sich entschied, dass das Herz einen Ehrenplatz erhält.
Am 1. März 1879, dem 69. Geburtsjubiläum von Frédéric Chopin, wurde das Herz in die Säule eingemauert. Ein Jahr später schuf Leonard Marconi das Epitaph aus Carrara-Marmor, welches bis heute bewundert werden kann.
Nebenbei: Auf dem Epitaph steht als Geburtstag der 22. Februar 1810. Dieses Datum wurde erst 1935 eingraviert. Das genaue Geburtsdatum ist nämlich nicht sicher bestimmt und diesen wissenschaftlichen Streit über das tatsächliche Geburtsdatum überlassen wir lieber auch den Historikern. Ich bleibe beim 1. März, dem am häufigsten angegeben Geburtstag.
Während des 2. Weltkrieges
Die Chopin-Kollektion in Krakau
Nach der vierten polnischen Teilung zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich inkorporierten die Nationalsozialisten eingie Gebiete ins Reich, andere überließen sie der Herrschaft von Terroristen und Geisteskranken. Im sogenannten Generalgouvernement herrschte absoluter Terror, welcher vom selbst ernannten König von Polen Hans Frank, der auf dem Wawelberg in Krakau residierte, gesteuert und gelenkt wurde. Chopin-Musik war in diesem rechtslosen Land strengstens verboten. Hans Frank, der sogar einen Doktortitel besaß, hasste die Polen, was ihn jedoch nicht daran hinderte im November 1942 für 50.000 Mark eine Chopin-Kollektion zu erwerben. Verkauft hat sie ihm – wahrscheinlich unter Zwang – der Franzose Edouard Ganche, welche viele Jahre lang Erinngerungsstücke von Chopin aufkaufte.Interessanterweise wurde diese Kollektion am 27. Oktober 1943 von Gustaw Abb, dem Direktor der Jagiellonenbibliothek in Krakau, ausgestellt.
Auf seinen Befehl hin wurde auch das Chopin-Denkmal im königlichen Lazienki-Park in Warschau am 31. Mai 1940 zerstört. Es wurde in Stücke geschnitten und eingeschmolzen. Man vermutet, dass Hans Frank diesen Polen nicht in seiner Nähe haben wollte, da das Denkmal in unmittelbarer Nähe zum Belvedere-Palast, seiner Residenz während seiner Aufenthalte in Warschau, stand.
Das Herz von Chopin während des Warschauer Aufstandes
Die zwei kurzen Regressionen sollten in Erinnerung rufen, dass das polnische Kulturgut zertsört und vernichtet werden sollte. Das polnische Volk sollte mit Füßen getreten und zu einem mittelalterlichen Volksstamm herabgestuft werden. Der Krieg im Osten Europas find nach der Kapitulation eigentlich erst richtig an.
Der Warschauer Aufstand von 1944 bot den jungen Soldaten die Möglichkeit sich an ihren Henkern zu rächen. Daher ließ die polnische Generalität dem Aufstand freien Lauf. Den Aufständischen hätte man jedoch sagen sollen, dass der Aufstand eigentlich schon verloren war, bevor er angefangen hatte. Die Zerstörungswut der deutschen Truppen war grauenvoll. Die Strafe für Stadt und Bevölkerung nur mit der Zerstörung Karthagos durch die Römer vergleichbar.
In der Nähe der Heilig-Kreuz-Kirche fanden seit den ersten Tagen schon heftige Kämpfe zwischen den Warschauer Aufständischen und deutschen Truppen statt. Die Kirche drohte völlig zerstört zu werden.
Und hier taucht der Name Schultze /Schulze auf. Es ist wenig über ihn bekannt, man weiß noch nicht mal ob er ein katholischer oder evangelischer Geistlicher war. Aber er war ein deutscher Priester. Er bot den polnischen Priestern an die Urne mit Chopins Herz persönlich an einen sicheren Ort zu bringen. Über seine Beweggründe ist nichts bekannt. Was man jedoch weiß, ist seine Aufopferungsbereitschaft für polnische Priester in Warschau. Zudem rettete er zahlreiche liturgische Gefäße der Heilig-Kreuz-Kirche vor der Zerstörung, was die Charité-Schwestern und die Nonnen des Visitantinnen-Ordens bestätigen konnten. Soll er also zumindest hier seinen Platz in der Geschichte haben.
Bei dem Thema der Urne mit dem Herzen schalteten sich jedoch auch deutsche Offiziere ein. Einer von ihnen war der SS-Generalleutnant Heinz Reinefarth, auch bekannt als der Henker Warschaus (wie auch viele andere). Ihm übergab man schließlich die Urne. Als diese Information Erich von dem Bach-Zalewski, einem weiteren SS-General, übermittelt wurde, ordnete dieser an das Herz den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Seine Motive sind bis heute ein Rätsel. Wollte er Hans Frank zum handeln bewegen? Oder – wie manche behaupten – die Warschauer von der Gutmütigkeit den Polen gegenüber überzeugen, damit diese an der Seite der deutsche Streitkräfte gegen die Russen, die auf der anderen Weichselseite warteten, kämpfen?
Erich von dem Bach-Zalewski lud schließlich den Erzbischof Antoni Szlagowski, der damals außerhalb von Warschau verweilte, nach Warschau ein, um die Urne entgegenzunehmen. Die zeremonielle Übergabe sollte natürlich für Propagandazwecke gefilmt werden, was aufgrund von Lichtproblemen nicht geschah. Anschließend reiste Antoni Szlagowski zurück nach Milanówek, wo die Urne im dortigen Pfarrhaus auf dem Klavier aufgestellt wurde. Dort stand sie bis zum 17. Oktober 1945.
Das Filmen der Übergabe wollte Erich von dem Bach-Zalewski nachholen und inszenierte die Übergabe. Die polnischen Geistlichen waren nur von hinten zu sehen. Es versteht sich, dass dort offiziell keine polnischen Vertreter waren.
Am 17. Oktober 1945, am 96. Todestag Frédéric Chopins brachte man die Urne zunächst zum Geburtshaus in Żelazowa Wola. Erst nach einiger Zeit fand sie ihren Weg zurück zur Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau.